"Col legno Festival" in Lucca:
Gustav Kuhns Plädoyer für ein humanistisch und künstlerisch motiviertes Leben
Rattenfänger und
Entdeckungsreisen
Von Daniel Wagner
Unbilden gab’s wohl –
auf meteorologischer Ebene. Aber von ihnen ließen sich Gustav Kuhn, die
Musikerinnen und Musiker seiner Accademia di Montegral sowie die Veranstalter
vom Salzburger Musiklabel col legno nicht unterkriegen. Allabendlich geleiteten
das Tiroler Improvisationsduett AkkoSax (Siggi Haider und Otto Klingenschmid im
Akkordeon-Saxofon-Gespann) gleichsam als Rattenfänger – diesmal nicht im
deutschen Hameln, sondern im toskanischen Lucca beheimatet – das neugierige
Publikum durch den Convento dell’Angelo in den heiligsten Konzertsaal, in die
Kapelle.
Beim Durchschreiten des ehrwürdigen Konventes hoch über den Toren Luccas, der
Stadt von Luigi Col, Alfredo Catalani und natürlich Giacomo Puccini, bekam
manch konzertsaalgeplagter Großstädter Möglichkeit zur reflektierenden Einkehr.
Was war das bisschen Regen schon im Vergleich zu der konzentrierten Ladung an
alter und neuer Musik, interpretiert von aufstrebenden und etablierten
Künstlern für ein illustres Publikum aus Nah und Fern?
Was war der eine oder andere weniger
exakte Ton gegen all die aufregenden Momente mit herausragenden Künstlern, in
denen das Feuer der Leidenschaft zur Musik, zum Leben lodert? Und das Alles
unter dem Dach des Ordens der Padri Passionisti, die dieses Haus der Accademia
di Montegral für schlanke 300 Jahre überlassen haben.
In der Akademie wird nicht nur einfach
musiziert: Sie ist Quell ganzheitlich humanistischer, künstlerisch motivierter
Lebensführung. Damit sie einer soliden Zukunft entgegenblicken kann, renoviert
Gründer Gustav Kuhn mit finanzkräftiger Unterstützung diverser Sponsoren seit
dem Jahr 2000 das ehemalige Kloster als intellektuelles Zentrum dieser Idee.
Nicht zuletzt zur öffentlichkeitswirksamen Präsentation der umfassenden Arbeit
lud Kuhn, im achten Jahr nach Bezug Montegrals, gemeinsam mit dem Hauslabel
erstmalig zum "col legno Festival" ein.
Beethoven und Neues
Aller Anfang mag schwer sein, doch mit den
gehörten Künstlern, größtenteils Mitglieder der Accademia, wurden die
Geburtsstunden (bzw. die vier "Geburtstage") zum auf- und anregenden
Gedankenaustausch.
Der italienische Pianist Alfonso Alberti
(1976 geboren) machte mit höchst intimen, teils uraufgeführten Klangideen von
Gérard Pesson, Niccolò Castiglioni oder Robert HP Platz bekannt, während
Jahrgangskollege Davide Cabassi sich über die Tage verteilt den großen Brocken
des Klaviertestaments widmete: Beethovens "Pathétique", eine wirklich
leidenschaftliche "Appassionata" und dann auch noch die
Mondscheinsonate – die besonders im Eröffnungsadagio mit ätherischer
Diskretion, ganz ohne romantisierende Effekte bewegte.
Nicht genug der Entdeckungsreise: Hatten
die Künstler von "Meta4" schon bei ihrer gefühlvollen Interpretation
von Streichquartetten ihrer finnischen Landsleute Kaija Saariaho und Jouni
Kaipainen die Herzen der Zuhörer gewonnen, brachten sie gemeinsam mit Cabassi
den Saal durch Schumanns Es-Dur Klavierquintett op. 44 endgültig zum Kochen.
Allein in der impulsiven Doppelfuge setzten die Künstler durchwegs Maßstäbe für
einen neuen Sturm-und-Drang-Ansatz des gar nicht mehr akademischen
Meisterwerkes.
Um die exzellente Damenriege nicht zu
vergessen: Maria Radoevas Sopran begeistere in Schostakowitschs intimem
Spätwerk, Sieben Romanzen nach Worten von Alexander Blok, op. 127.
Eine Überraschung
Maestro Kuhn gelang mit der 17-jährigen
Sophie Pacini eine richtige Überraschung. Bei soviel energiegeladenem, aber
dennoch mit dem nötigen Sentiment versetztem Schumann ("Carnaval" op.
9) und Liszt (bemerkenswert rasante b-Moll-Sonate!) darf man auf einen baldigen
Besuch der deutsch-italienischen Pianistin in Wien hoffen.
Als krönenden Abschluss des letzten
Konzertabends brillierte Jasminka Stancul mit Klaviersonaten von Mozart,
Schumann und von Ludwig van Beethoven, der quasi ihr Komponist ist. Bei dem
selbstverständlichen Zugang der serbischstämmigen Wienerin zur
Waldstein-Sonate, op. 53 erklärte sich einmal mehr, wie sie zur Preisträgerin
beim Wiener Beethoven-Wettbewerb geworden war. Allein das finale Rondo bestach
durch bezaubernde Kantabilität, getragen von der typischen, hier souverän
virtuosen Sechzehntelbewegung.
Messe und Mahl
Am Sonntag wurde Gioachino Rossinis
"Petite Messe Solenelle" dank des Besuches eines Ordensmannes der
Padre Passionisti zur gemeinsamen Feier einer Sonntagsmesse. Denn mit höchsten
päpstlichen Ausnahmegenehmigungen versehen, ist diese Kapelle weltweit
wahrscheinlich der einzige nach wie vor geweihte Sakralbau, der als profaner
Konzert- und Übungssaal genutzt werden darf.
Das anschließende Mittagessen mit Speis,
Trank, allerlei toskanischen Spezialitäten und mancher Darbietung von
Tarantella bis zu "O sole mio!" wurde weit in den Tag hinein zur
rauschenden Festa italiana.
Gustav Kuhn bewies: Lucca ist eine Reise
wert – auch im nächsten Jahr!